Gründung der Sternwarte am Brackweder Gymnasium
„Eine Schule muss nach Wissenschaft aussehen!“ Das dachte sich zumindest der Architekt, als er den Stadtvätern der 1964 noch unabhängigen Stadt Brackwede den ersten Entwurf für ihr eigenes Gymnasium vorlegte. Wissenschaft - architektonisch bedeutete das, eine Kuppel auf dem Dach zu haben. Hartmut Warnek, einer der ersten Lehrer am Brackweder Gymnasium und Stellvertreter der Schulleitung, dachte konsequent diesen Schritt weiter. Nicht nur nach Wissenschaft aussehen, sondern Wissensvermittlung müsse das Ziel einer Schule sein. Was läge da bei einer Kuppel auf dem Dach näher, als gleich eine Sternwarte daraus zu machen? Schließlich vermittelte der seit seiner Kindheit begeisterte Astronom sein Wissen bereits seit geraumer Zeit an interessierte Schüler. Gesagt, getan: nach dem Einholen der Informationen über mögliche Teleskopsysteme, Überzeugung der Stadt Brackwede, Grundsteinlegung des Gymnasiums im Dezember 1966, wurde die Firma Wachter beauftragt, einen Coudé Refraktor zu erstellen. Diese besondere Fernrohrkonstruktion ermöglicht die Beobachtung im Sitzen, was hervorragend ist beim gründlichen, oft minutenlangen Studieren der Objekte. 1972 schließlich folgte die erste Beobachtung: Noch heute erinnert sich Warnek daran, wie man den Stadtvätern stolz präsentierte, dass der Augenprüfer im großen Bären ein Dreifachsystem ist.
Einbeziehung der Bevölkerung von Anfang an
Die Gründung der Sternwarte am Brackweder Gymnasium war jedoch lange Zeit alles andere als vorhersehbar. Man stelle sich vor, ein junger Studienrat, den Stadtvätern Brackwedes zunächst recht unbekannt, bittet um Geld für die Anschaffung einer Sternwarte - etwas, das es nicht mal an den Gymnasien der Stadt Bielefeld gab. Da sind Skepsis und Zögern vorprogrammiert. Wie überzeugt man nun also die verantwortlichen Stadtverwalter von der Sinnhaftigkeit und Bereicherung einer Sternwarte? Ist Astronomie nicht ein Partikularinteresse weniger Schüler? Warnek kannte die Antwort und sie war erstaunlich intuitiv. Aus seiner Begeisterung für die Astronomie heraus unterrichtete er nicht nur Astronomie für interessierte Schüler, sondern bezog schon vor der Gründung der eigentlichen Sternwarte die Bevölkerung mit ein. Denn in der Tat waren viele Brackweder Bürger vom Sternenhimmel fasziniert. Dabei war es besonders hilfreich, dass die Herren Wedefeld und Junker ihre Teleskope zur Verfügung stellten, sodass bereits in den 60er Jahren Beobachtungen unter Warneks Anleitung in Brackwede erfolgen konnten. Wedefeld steuerte mit einer Modellsammlung von Fernrohrtypen bei, während Junker der Schulwerkstatt zu einer Erstausrüstung verhalf. Diese Werkstatt war für die ständigen Ergänzungen und Verbesserungen beim Betrieb der Sternwarte ein wahrer Schatz – denn schon seit Beginn wurden viele Arbeiten selber durchgeführt.
Aufgrund der gut besuchten Veranstaltung und sehr positiver Resonanz, die schließlich die Stadtväter erreichte, wurde schnell klar: Diese Schulsternwarte dient nicht nur Schülern sondern auch vielen weiteren astrobegeisterten Brackwedern. Der Weg zur Sternwarte war geebnet.
Tatsächlich war die Einbindung der Brackweder Bevölkerung weit mehr als nur ein Argument für die Notwendigkeit der Sternwarte: Sie war seit jeher eine erklärte Zielgruppe, denn warum bei interessierten Schülern halt machen? Ab 1980 wurden beispielsweise regelmäßige Beobachtungen durch monatliche Astrovorträge Warneks ergänzt und die Sternwarte bei gutem Wetter viermal in der Woche für Beobachtungen geöffnet - für ein derartiges Institut eine weit und breit nicht wieder anzutreffende Aktivität. Eine Dekade später wurde ein Konzept für eine jährliche Astrowoche entwickelt, die zunächst in den Oster-, später in den Herbstferien stattfinden sollte. Weitere Besucher wurden durch Fachartikel über die Sternwarte und regelmäßige Ankündigungen in den Regionalzeitungen aufmerksam. Obgleich inzwischen Besucher von weit außerhalb Bielefelds angezogen wurden, war Wachstum eigentlich sekundär, denn primär ging es darum möglichst intensive Einblicke in die Astronomie zu vermitteln. Daher ist auch heute noch die angestrebte Besuchergruppengröße lediglich ein gutes Dutzend, denn gutes Beobachten benötigt Zeit, die man in größeren Gruppen häufig nicht hat, da man ja die Anderen nicht allzu langen warten lassen möchte.
Kostenlos aber nicht umsonst
Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Einbindung der Bevölkerung versteht es sich, warum anfangs kein Eintrittsgeld genommen wurde. Überwiegend dank freiwilliger Hilfe und Spenden konnte der regelmäßige Betrieb ohne Unterbrechung seit den 1970er Jahren aufrechterhalten werden. In der Tat ist der kostenfreie Eintritt noch heute praktisch ein Alleinstellungsmerkmal. Auf die Finanzierung angesprochen antwortete Warnek während seiner Zeit als Leiter der Sternwarte, „das ist eine Schulsternwarte, […], wir haben zwar Spenden entgegen genommen, aber nie Eintritt.“ Und tatsächlich finanziert sich die Sternwarte noch heute ohne Eintrittsgelder, was nur durch den kontinuierlichen Einsatz von freiwilligen Hobby-Astronomen möglich ist. Zu den früheren Unterstützer gehörten u.a. Hager, Dürk, Götza und Harmann, der ein Dobson-Fernrohr gebaut hat und dieses der Sternwarte zur Verfügung gestellt hat. Besonders ist Heinke Braß, ehemalige Lehrerin des Brackweder Gymnasiums, zu nennen. Während ihrer aktiven Zeit als Lehrerin leitete sie zahlreiche astronomische Arbeitsgemeinschaften und weckte somit das Interesse vieler Schüler. Van Geldern, ebenfalls ein langjähriger Sternfreund, hat die Sternwarte praktisch als zweite Heimat erkoren und enorm zur Digitalisierung der Sternwarte beigetragen, in dem er die ersten Computer und Software-Programme eingeführt hat. Viele weitere Sternfreunde wurden von regelmäßigen Besuchern zu festen Helfern, dazu gehören unter anderem Zimmermann, Niedermark und Ehepaar Strunk. Heute profitiert die Sternwarte von einen gut durchmischten Team aus erfahrenen Hobby-Astronomen. Neben den tatkräftigen Unterstützern verdankt die Sternwarte auch weiteren Spendern Teile ihrer Ausstattung. So kam Ende der 90er eine großzügige Spende der Brackweder Bezirksvertretung, die die Anschaffung eines modernen Schmidt-Casegrain-Teleskops der Firma Meade ermöglichte. Mit diesem Teleskop lassen sich auch schwer-auffindbare Objekte quasi per Knopfdruck einstellen.
„Sterne selber sind langweilig,…“
„… man muss besondere Objekte haben!“ ist die Devise Warneks und folglich blieb es nicht beim Augenprüfer im großen Bären, sondern die Ansprüche der Beobachtungen wuchsen. Regelmäßig im Frühjahr, wenn die Nächte noch lang sind, ist der Orionnebel ein besonderes Highlight. Auch erinnert sich Warnek gern daran, wie das erste Mal der Doppelsternhaufen H + Chi beobachtet wurde. Neben den wiederkehrenden Beobachtungen gab es in der Geschichte der Sternwarte am Brackweder Gymnasium auch ganz besondere Highlights. Zum Beispiel 2004, der Venustransit. Mehr als 400 Schülern wurde es durch die Sternwarte ermöglicht, an diesem ganz besonderen Naturphänomen teilzuhaben. Zahlreiche Sonnenfinsternisse und Mondfinsternisse reihten sich ebenfalls bei den Höhepunkten ein.
Kontinuität und Wandel der Leitung
Nach 38-jähriger Leitung der Sternwarte, also 46 Jahre nach seiner ersten Astronomie Arbeitsgemeinschaft, beschloss der inzwischen über 15 Jahre pensionierte Warnek die Leitung an seinen ehemaligen Schüler Michael Hellriegel abzugeben. Hellriegel ging zuvor nicht nur als Schüler durch die Warnek‘sche Schule der Astronomie, sondern leitete selber astronomische Arbeitsgemeinschaften für jüngere Schüler. Noch heute berichtet Warnek mit Begeisterung von Hellriegels Fähigkeiten, komplizierte mathematische Sachverhalte über die Bewegungen auf der Jupiteroberfläche den Sextaner näherzubringen. Mit seiner neuen Verantwortung der Sternwarte leitete Hellriegel 2010 ein neues Kapitel unter dem Ziel der Modernisierung und Verjüngung der Sternwarte ein. Dazu gehörte unter anderem die größte Renovierungs- und Sanierungsaktion seit ihrer Gründung. Hierbei wurde unter anderem ein von Warnek für unmöglich gehaltener Umbau des Coudé-Fernrohrs auf Computersteuerung realisiert. Trotz dieser Neuerungen hielt Hellriegel jedoch an den bewährten Grundkonzepten fest: monatliche Vorträge, regelmäßige Veranstaltungen wie die Astrowoche, enge Anbindung an die Schule und Verzicht auf Eintrittsgelder. In 2015 wechselte die Leitung der Sternwarte erneut als Heinz Hattesohl die Leitung übernahm.